Zehntausende Waffenteile könnten ganze Waffen ergeben und die erlaubte Anzahl damit deutlich überschritten werden. Selbst das Ministerium sieht “Interpretationsspielraum”, wie viele Waffenteile tatsächlich besessen werden dürfen.
Zwei Waffen – das ist der gesetzliche Standard. Ohne spezielle Ausnahmegenehmigung dürfen Besitzer einer Waffenbesitzkarte maximal zwei Schusswaffen ihr Eigen nennen. Allerdings gilt diese Begrenzung nur für fertig montierte Waffen. Denn eine Gesetzesreform der türkis-blauen Koalition, beschlossen im Dezember 2018, wenige Monate vor dem Ibiza-Skandal, hat eine Grauzone geschaffen, die diese Obergrenze faktisch aushebelt: Es ist nun möglich, die Einzelteile für noch einmal doppelt so viele Waffen legal zu erwerben, als man eigentlich besitzen dürfte und zu Hause zu lagern. Statt in der Regel zwei wären bis zu sechs denkbar – zusammenbauen darf man rechtlich jedoch nur zwei davon.
In Fachkreisen ist diese Möglichkeit seit Jahren bekannt. In einschlägigen Foren werden seit der Gesetzesänderung die juristischen Feinheiten diskutiert. Waffenhändler berichten seit Jahren von einem regelrechten Boom bei sogenannten „Wechselsystemen“.
Was das Innenministerium unter Herbert Kickl (FPÖ) im Jahr 2018 als „Verwaltungsvereinfachung“ dem Parlament präsentierte, hat weitreichende Konsequenzen: Jede Person mit einer Waffenbesitzkarte darf seither doppelt so viele registrierungspflichtige zusätzliche Waffenteile erwerben, wie sie ganze Waffen besitzen darf. Weil die Reform außerdem pauschal zwei Waffen der Kategorie B als Regelfall annimmt, darf jeder Waffenbesitzer meist zumindest vier sogenannte „wesentliche Bestandteile“ registrieren lassen. Dazu zählen alle Teile, die eine Waffe funktionstüchtig machen – also vor allem solche, die dem Gasdruck standhalten müssen, wie der Lauf oder der Verschluss. Der Griff hingegen zählt nicht dazu – er ist frei erhältlich und nicht registrierungspflichtig.
Wechselsysteme stammen ursprünglich aus dem Schießsport. Sie ermöglichen es, mit einem Waffengriff zu trainieren und diesen für den Wettkampf mit einem anderen Lauf und Verschluss umzurüsten, oder etwa auch das Kaliber einer Waffe zu wechseln. Früher waren diese Systeme einzeln registrierungspflichtig und mussten bei der Behörde separat eingetragen werden.
Seit der Gesetzesänderung reicht eine Meldung des Erwerbs durch den Waffenhändler. Diese vereinfachte Verwaltung hat das Wechselsystem für viele Waffenbesitzer attraktiver gemacht.
Anstatt sich den Erwerb einer weiteren vollständigen Waffe genehmigen zu lassen, kann man einfach ein Wechselsystem kaufen – dazu ein frei verfügbarer Griff, und man hat – je nach System – praktisch eine weitere, funktionsfähige Waffe. Nur, zusammenbauen dürfte man sie rechtlich nicht.
Über Jahre hinweg zählte ein solches Wechselsystem auf der Waffenbesitzkarte oft nur als ein einziger „wesentlicher Bestandteil“, selbst wenn es aus Lauf und Verschluss bestand, bestätigen Waffenhändler und Juristen. So war es möglich, zusätzlich zu den zwei genehmigten Waffen noch bis zu vier Wechselsysteme zu erwerben – legal. Selbst das Innenministerium kann auf konkrete Nachfrage nicht beantworten, wie viele “Plätze” so ein Wechselsystem belegt. Man spricht von “Interpretationsspielraum“.
Das Waffengesetz ist dabei recht eindeutig. Dort heißt es zu den “wesentlichen Bestandteilen”: “Dabei handelt es sich um Lauf, Trommel, Verschluss, Rahmen, Gehäuse und andere diesen entsprechenden wesentliche Bestandteile von Schusswaffen – auch wenn sie Bestandteil eines anderen Gegenstandes geworden sind –, sofern sie bei der Schussabgabe gasdruckbelastet, verwendungsfähig und nicht Kriegsmaterial sind.” Auch das BMI sagt, dass ein Wechselsystem “aus waffentechnischer Sicht im Wesentlichen aus zwei Komponenten, dem Lauf und dem Verschluss” besteht, dennoch wird und wurde es fast immer als nur ein Teil eingetragen. Warum? “Eine mögliche unterschiedliche Handhabung bei der Eintragung von Wechselsystemen als ein oder zwei wesentliche Teile kann auf diesen Interpretationsspielraum zurückzuführen sein“, sagt das BMI. Welchen Interpretationsspielraum das BMI konkret meint, lässt es offen.
Was das Ministerium nämlich nicht sagen kann: Die Erklärung ist viel österreichischer: Es war immer schon so. Vor 2018 wurden Wechselsysteme als ein Zubehörteil eingetragen, es war nur wenig bedeutend, weil jedes Teil registrierungspflichtig bei den Behörden war. Erst als Wechselsysteme durch die Reform 2018 leichter erhältlich wurden, setzte der Boom ein, die Praxis Wechselsysteme als zwei Waffenteile zu registrieren, wurde aber nie flächendeckend umgesetzt. Eine rechtliche Klarstellung oder Weisung des Ministeriums gab es nicht.
Mehr als 45.000 solcher wesentlichen Waffenteile sind mittlerweile beim Innenministerium registriert, darunter allein 18.834 für Waffen der Kategorie B. Der Begriff „Zubehör“, den das Ministerium selbst verwendet, verschleiert dabei, dass viele dieser registrierten Teile durch das Hinzufügen eines einfachen Griffs zu voll funktionsfähigen Schusswaffen werden können.
Die in Österreich frei erhältlichen Griffe sorgen auch in anderen Ländern für erhebliche Probleme. So beklagt Schweden die Existenz von sogenannten Hybrid-Waffen, bei denen österreichische Griffstücke mit amerikanischen Oberteilen kombiniert werden.
Das Innenministerium plant nun eine Reform: Künftig sollen auch die bislang frei erhältlichen Griffe registrierungspflichtig werden. Eine entsprechende Einigung der ÖVP mit SPÖ und den NEOS wurde bereits im neuen Regierungsübereinkommen festgehalten. Im Maßnahmenpaket der Bundesregierung nach der Attacke von Graz findet sich das aber genauso wenig, wie eine Reform der wesentlichen Waffenteile.
ÖVP und FPÖ wären in ihren – letztlich gescheiterten – Koalitionsverhandlungen 2025 deutlich liberaler gewesen. Nach dem Scheitern der Verhandlungen wird das Protokoll öffentlich, dort findet sich auch der Satz: „Stückzahlbeschränkung Kategorie B beseitigen“. Bedeutet das, dass ÖVP und FPÖ sogar die völlige Aufhebung der Begrenzung für genehmigungspflichtige Schusswaffen geplant hatten?
Aus ÖVP-Verhandlungskreisen heißt es, dass die FPÖ genau das in den Verhandlungen gefordert hatte, es aber noch keine finale Einigung dazu gegeben hätte. Nicht im Protokoll vermerkt habe man die blaue Forderung, Pumpguns, die bisher als Kriegsmaterial in Kategorie A für Privatleute nicht zugänglich sind, in die Waffenkategorie B zu überführen. Damit hätten auch Private mit Waffenbesitzkarte Pumpguns kaufen können. Eine Anfrage an die FPÖ dazu, ließ diese unbeantwortet.