Anfang August müssen die Listen der Parteien bei den Wahlbehörden eingereicht sein. Fast zwei Monate vor der Nationalratswahl, ist damit schon sichtbar, wer im künftigen Nationalrat sitzen wird und wer nicht. Ein großer Teil der Mandate ist vor der Wahl praktisch fix vergeben. Ein Überblick.
Für Robert Lugar ist es eigentlich unmöglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Ex-BZÖ-, Ex-Team-Stronach- und zuletzt FPÖ-Abgeordnete dem künftigen Nationalrat nicht mehr angehört, ist hoch. Auf der Landesliste Niederösterreich ist er nur auf Platz zehn gereiht, im Regionalwahlkreis 3F nur auf Platz drei. Damit würde Lugar – seit 2008 im Parlament – dem nächsten Nationalrat nicht mehr angehören, außer er schafft eine Umreihung durch eine Vorzugsstimmenkampagne. Dafür hätte er im Jahr 2017 3.927 Vorzugsstimmen gebraucht.
Bei der FPÖ kandidiert auch Markus Tschank, früher Kassier des Vereins „Austria in Motion“ und eng verzahnt mit den anderen Vereinen, über die im Ibiza-Video gesprochen worden sein könnte. Er hingegen hat ein ziemlich fixes Mandat im neuen Nationalrat: Er ist Spitzenkandidat im Regionalwahlkreis 9E und steht auf der Landesliste hinter Philippa Strache auf Platz vier. Sollten die Freiheitlichen also knapp unter 20 Prozent fallen, wäre er immer noch über die Landesliste abgesichert. Nur ein völliges Debakel für die Freiheitlichen an der Urne würde seinen Einzug verhindern.
Doppelt hält besser
Abzusehende Wahlniederlagen machen Abgeordnete nervös. Wer verliert ein Mandat, wer erhält eines? SPÖ und FPÖ setzen in Niederösterreich, wo auch Lugar kandidiert, auf eine besonders kreative Listenerstellung. Sieben Personen in den Top Ten der jeweiligen Landeslisten sind auch auf Regionalwahlkreislisten so gereiht, dass sie dort 2017 ein Mandat erreicht hätten. Die zweifach gewählten Bewerber müssen sich letztlich entscheiden, welches Mandat sie annehmen. Die interne KandidatInnenvereinbarung, die alle, die auf einer Liste der FPÖ kandidieren wollen, unterzeichnen müssen, legt fest:
Für den Fall, dass ein Kandidat in einem Regional- und Landeswahlkreis doppelt gewählt ist, entscheidet der zuständige Landesparteivorstand, welches der beiden Mandate anzunehmen ist.
Wer über die Bundesliste gewählt wird und wem zugleich ein Landeslistenmandat zusteht, muss ebenfalls dem Beschluss des Landesparteivorstandes folgen. Das trifft zum Beispiel Herbert Kickl. Er ist Spitzenkandidat in Niederösterreich und steht auf Platz 2 der Bundesliste. So kann die Partei sicher gehen, dass auch nach einer Niederlage jene Personen in den Nationalrat kommen, die sie sich wünscht. Konflikte mit dem Parteichef sind da eher nicht förderlich.
Die SPÖ sammelt noch immer vor der Wahl von hunderten Kandidatinnen und Kandidaten Blanko-Verzichtserklärungen ein, um später einfacher umreihen zu können. Rechtlich sind diese Erklärungen nicht haltbar, verwendet werden sie dennoch.
Algorithmus der Parteitreue
Je nachdem, welches Mandat auf welcher Ebene angenommen wird, kann eine Partei nach der Wahl steuern, wer in den Nationalrat einzieht und vor allem: wer nicht. Um diesen Algorithmus der Parteitreue zu verstehen, muss man wissen, wie Mandate in Österreich vergeben werden. Seit 1992 werden in Österreich Mandate auf drei Ebenen vergeben. In 39 Regionalwahlkreisen, neun Landeswahlkreisen und auf Bundesebene. Das soll sicherstellen, dass regionale Parteistärken besser abgebildet werden. So hat etwa die ÖVP in Westkärnten praktisch immer ein Mandat fix. Im Wahlkreis Wien-Süd hat die SPÖ 2002 über 50 % der Stimmen erreicht und zuletzt zwei Grundmandate errungen.
Diese Mandate auf der untersten Ebene, den Regionalwahlkreisen, werden sehr einfach vergeben. Die gültigen Stimmen im Bundesland werden durch die Anzahl der zu vergebenden Mandate dividiert. So erhält man eine sogenannte Wahlzahl, oder einfacher: Den Preis eines Mandates. Jede Partei bekommt so viele Mandate, wie die Wahlzahl in ihren Stimmen enthalten ist. Die billigsten Mandate gibt es traditionell in Graz, dort reichten 2017 etwas über elf Prozent der Stimmen für ein Direktmandat. Werner Kogler kann sich etwa berechtigte Hoffnungen machen, dort ein Mandat zu erreichen, denn er ist auch im Wahlkreis Graz Listenerster. In Osttirol müsste eine Partei hingegen über 93 % Prozent der Stimmen im Wahlkreis erreichen um ein Grundmandat zu bekommen. Wer im Regionalwahlkreis Osttirol kandidiert, hat mathematisch praktisch keine Chance.
Auf Landesebene werden dann noch einmal alle Stimmen durch dieselbe Wahlzahl dividiert, bereits erreichte Mandate aus den Regionalwahlkreisen werden abgezogen und fertig sind zwei von drei Mandats-Ermittlungsverfahren der Nationalratswahl.
Der verflixte Reißverschluss
Reinhold Lopatka kennt dieses System wie kein anderer. Der langjährige ÖVP-Klubchef ist ein alter Profi, wenn es darum geht, eigene Macht abzusichern. Doch 2019 bringt ihn das Reißverschlusssystem der ÖVP in eine Bredouille. Es macht sichtbar, wie wichtig doppelte Absicherungen sind.
2017 hat Lopatka den Regionalwahlkreis 6B in der Steiermark noch für die ÖVP angeführt, doch Christoph Stark schafft es damals vom dritten Platz aus, alles umzudrehen. Mit 9.914 Vorzugsstimmen überholt er Lopatka und erhält das Direktmandat aufgrund der gesetzlichen Vorzugsstimmenregelung. 2019 ist Christoph Stark nun auf Platz eins im Wahlkreis und damit bleibt für Lopatka nur – Platz drei. Denn auf Platz zwei muss jedenfalls eine Frau sein, so will es Parteichef Kurz. In diesem Fall erhält Agnes Totter Platz zwei.
Drei Grundmandate sind aber eher schwierig zu erreichen, dazu müsste die ÖVP 48,3 Prozent im Wahlkreis erreichen, das war zumindest 2017 die Hürde. Die ÖVP verweist auf die Europawahl 2019, wo sie in diesem Wahlkreis 46,1 Prozent erreicht hat. Bei der letzten Nationalratswahl waren es 39 Prozent. Sicher ist das Mandat also keinesfalls. Bleibt für Lopatka also nur die Landesliste, damit er sicher in den Nationalrat kommt. Doch die führt mit Juliane Bogner-Strauß auch eine Frau an – und die ÖVP hatte 2017, richtig: ein Landeslistenmandat. Wenn Reinhold Lopatka also irgendeine Chance auf einen Wiedereinzug haben will, braucht er Platz zwei der Landesliste. Die ÖVP müsste dann in der Steiermark 33 Prozent erreichen. Das sollte sich – wenn man den Umfragen glaubt – ausgehen. Reinhold Lopatka kann dem Wahlabend also einigermaßen entspannt entgegenblicken.
Beinahe alle entscheidenden Listen sind schon bekannt, einzig die Bundesliste der ÖVP fehlt noch. Bis 12. August muss die Partei sie bei der Bundeswahlbehörde einreichen. Kira Grünberg muss, so wie Rudolf Taschner, Maria Großbauer und all die anderen Quereinsteiger des Jahres 2017 darauf hoffen, dass ÖVP-Chef Sebastian Kurz sie auf die Bundesliste setzt. Grünberg, die bei der letzten Wahl Listenerste in Tirol war, blieb diesmal unberücksichtigt.
Andere, wie etwa Arzt Josef Smolle und Bürgermeister Friedrich Ofenauer von der ÖVP oder Maurice Androsch von der SPÖ wurden auf den Listen auf aussichtslose Plätze gereiht und müssen nun auf ein Wunder hoffen, wollen Sie dem nächsten Nationalrat wieder angehören.
Wild Thing Brandstätter
Die NEOS haben mit Helmut Brandstätter wieder eine “Wild Card“ auf Platz zwei vergeben. Deshalb muss sich nun der letzte Vertreter des Liberalen Forums bei den NEOS Sorgen machen. Michael Bernhard würde – bei einem Ergebnis wie 2017 – aus dem Nationalrat fallen. Auch bei einem Ergebnis wie bei der EU-Wahl (immerhin 8,44 Prozent) wäre Michael Bernhard nicht im Nationalrat vertreten, weil Josef Schellhorn da ganz knapp sein Landesmandat verpasst hätte und Michael Bernhards Platz im Bund besetzt. Schaffen die NEOS nur einige Stimmen mehr, wie zur Zeit im Schnitt der Umfragen (8,60 Prozent) wäre Michael Bernhard wieder im Nationalrat. Der letzte Liberale sitzt auf einem NEOS-Kampfmandat.
Wenn die Nationalratswahl 2019 exakt gleich wie 2017 ausginge, würden 130 der zur Zeit aktiven Nationalratsabgeordneten wieder einziehen. 71 Prozent der bisherigen Nationalratsabgeordneten würden ihren Sitz behalten. Rechnet man den Schnitt der letzten zehn Umfragen auf die Mandate um (mit allen Fehlern, siehe Methodik unten), wären immer noch 111 oder 60 Prozent der zur Zeit amtierenden Abgeordneten Teil des künftigen Nationalrates und das, obwohl die Umfragen ein Ausscheiden der Liste Pilz und den Einzug der Grünen vorhersagen und die ÖVP Bundesliste noch nicht bekannt ist.
Sehr viel Neues bringen die Neuwahlen im Nationalrat also nicht unbedingt.
Die unterschiedlichen Modellrechnungen finden Sie hier im Detail.
Flooh Perlot hat die Mathematik hinter Mandatszuweisungen hier anschaulich für die Nationalratswahl 2013 erklärt.
Warum fehlt bei den Modellrechnungen (Mandatsliste für die NRW 2019) NR-Abg. Martina Kaufmann von der ÖVP?
Sorry Fehler, NRW-Ergebnis 2017 meinte ich
Die Modellrechnungen nehmen immer die aktuellen Listen für die Wahl 2019 und drei verschiedene Zahlenquellen: Umfragen, die EU-Wahlen und die letzte Nationalratswahl 2017. Martina Kaufmann hat 2019 nur Platz 3 auf der Regionalwahlkreisliste 6A und im Landeswahlkreis, das hätte 2017 nicht für einen Einzug gereicht. Mit den Ergebnissen wie zur Zeit in den Umfragen oder der EU-Wahl wäre sie aber wieder im Nationalrat.